„I follow him to the station / With his suitcase in my hand“
(Madeleine Peyroux: Room in Blue)
Beim Theater gibt es zwei Arten der Szene ohne Darsteller. Der erste Fall ist das Bühnenbild, das bereitsteht, um betreten zu werden. Das Theater hat keinen Vorhang, die Zuschauer räuspern sich noch einmal. Eine Erwartung wohnt in uns. Wir wissen, da kommt etwas, da werden Personen auf die Bühne treten, und mit etwas Glück fangen sie nach einer Weile zu sprechen an.
Der entgegengesetzte Fall ist die verlassene Bühne. Plötzlich sind alle Darsteller von der Szene abgegangen, der letzte von ihnen schweigend nach einem längeren Monolog. Doch das Spiel ist nicht zu Ende. Die Bühne als Wüste ruft eine düstere Stimmung hervor. Wir betrachten die leere Bühne mit dem ungläubigen Staunen, verlassen worden zu sein.
Was macht uns traurig? Es ist nicht der leere Raum. Es sind die Zeichen des Menschen, der gegangen ist. Er war gerade noch da. Aber mit uns hat er es nicht ausgehalten.
Der Mensch, der gerade gegangen ist, hat auf einigen Bildern, die wir auf diesen Seiten sehen, seine Jacke zurückgelassen. Eine ausgebeulte Jacke, eine Arbeiterjacke, vielleicht ein Atelierkittel. Wer seine Jacke auf diese Weise über die Stuhllehne wirft, hat keinen Haken dafür, oder will sie in sicherer Nähe behalten, wie in der Kneipe. Wer seine Jacke so zurückgelassen hat, kommt vielleicht bald wieder. Oder er ist geflohen. Oder er ist ins Bett gefallen, überwältigt von übergroßer Anstrengung.
In dem Bild Tagebuch hat der Mensch, der gegangen ist, vor Schreibpapier gesessen. Die Blätter wirken akribisch und doch ungeordnet. Vielleicht sind sie unbeschrieben, und vielleicht sind die Worte zu schwach auf das Papier gebracht. Sie sind schon verblasst. Die Bögen sind schwerelos über den Raum verteilt. Diese Blätter, für die es Klarsichthüllen gibt, können das Tagebuch nicht sein. Das Tagebuch ist schon gegangen.
Zwischen der Nacht und dem Tag wendet die Jacke sich an die Pflanzenkeime im Blumenkasten. Sie sind sehr schnell gewachsen, wenn es Vollmond ist, sprengen sie ihr viel zu enges Beet. Die Jacke wartet ab. Ein grünes Blatt fällt herab. Oder wartet, für einen Augenblick, in der Luft.
Die verstreuten Blätter widerstehen der Schwerkraft, oder sie bleiben, wie im Nachtcafe, in einem Zustand, wo man nicht weiß, ob sie fallen werden. Tischplatten scheinen auf ihren eigenen Schatten zu ruhen, aber dies könnte eine Täuschung des Blickwinkels sein. Die Balkone ragen als Schiffe ins Meer. Verwaiste Swimmingpools überwölben die Brandung.
Die Bilder berühren uns mit ihrer ausgearbeiteten Räumlichkeit. Sie beharren auf der perspektivischen Tiefe und ihren Fluchten. Ohne ornamentale Zweidimensionalität oder mit dickem Pinsel aufgetragene Behauptung finden wir hier Sprungschanzen zum Horizont, die aus zerbrechlichen Baustoffen gemacht zu sein scheinen. Aus Folie und Sturm, auf brüchigen Materialien, die durchsichtiger als der Schatten sind (Horizont).
Kein Schrei der Empörung über den fehlenden Anderen. Hinter den filigranen, bisweilen fotorealistisch ausgestalteten Details tritt die Wut zurück. Es bleibt ein verhaltener Report vom Verrat. Die Fenster sind nur Aussparungen in der Mauer. Durch die Zimmerdecke fällt der fahle Himmel herab. Die Grünpflanzen wachsen wohl weit unter den Wellen, auf dem Boden des Meeres, und die grauen Tiere in der Nacht öffnen die Kehlen, aber sie geben keinen Laut.